Seit über 50 Jahren ist der Nahost-Konflikt ein ungelöstes Dauerthema. Mit der harten Gangart der Scharon-Regierung gegenüber den Palästinensern seit dem Jahr 2000 und der zweiten Intifada hat er allerdings regional wie international an Brisanz gewonnen. Politische, gesellschaftliche und kulturelle Unterschiede werden zusätzlich emotional "hochgekocht", indem die Auseinandersetzungen auf der Folie einer konstruierten Gegnerschaft zwischen der westlichen und arabischen Welt stattfinden. So spielt der Nahost-Konflikt auch in den Diskussionen über einen möglichen Krieg gegen den Irak und dessen Folgen eine wichtige Rolle. Die Befürworter erhoffen sich dadurch einen positiven Einfluss auf das angespannte Verhältnis zwischen Israelis und Palästinensern, die Gegner befürchten eine weitere Eskalation von Gewalt und Terror.
Israelische und später auch palästinensische Filmemacher/innen haben den Dauerkonflikt – insbesondere die davon stark beeinflussten Lebensbedingungen von Juden und Arabern im Nahen Osten – in vielen ihrer Werke reflektiert, vorzugsweise allerdings im Bereich des Dokumentarfilms. Die meisten dieser Filme, zumindest wenn sie auf Festivals, im Fernsehen und manchmal auch im Kino in Deutschland zu sehen waren, zeichnen sich durch differenzierte Sichtweisen, eine selbstkritische Haltung gegenüber dem eigenen Volk und den Wunsch nach besserer Verständigung und einem dauerhaften Frieden aus. Nicht selten erfolgt der Blick auf das eigene "Volk" von "außen", insbesondere durch emigrierte oder im Ausland arbeitende Filmemacher/innen und durch europäische Koproduktionen.
Gerade vor dem Hintergrund der aktuellen weltpolitischen Lage, dem paradigmatischen Charakter des Nahost-Konflikts für Friedensprozesse weltweit und dem teilweise erst künstlich geschaffenen Graben zwischen der "westlichen" und der "arabischen Welt" (Überschneidungen inklusive) ist ein Blick auf die gegenwärtig in unseren Kinos anlaufenden Filme zum Thema von besonderem Interesse. Wie stellen sie den Konflikt insbesondere im Alltagsleben der Menschen dar? Wie beleuchten sie die "eigene", wie die "gegnerische" Seite? Welche Visionen bieten sie zur Lösung des Konflikts an? Die vorliegende Themenausgabe konzentriert sich auf einen Spielfilm und zwei Dokumentarfilme, von denen der eine auch schon im deutschen Fernsehen ausgestrahlt wurde. Die Konzentration auf nur drei Filme ermöglicht zusätzliche Hintergrundinformationen über die Position der jeweiligen Regisseure, über die Wurzeln des Konflikts, die historische und filmgeschichtliche Einordnung der Filme, die Situation des palästinensischen und des israelischen Films, aber auch über den "Umgang" der Deutschen mit diesem Konflikt.
Im Spielfilm
Göttliche Intervention - Eine Chronik von Liebe und Schmerz deckt der palästinensische Filmemacher Elia Suleiman den Wahnsinn auf, der sich in der Stadt Nazareth offenbar hinter der scheinbaren Normalität verbirgt. Sein persönlich gehaltener, parteiischer Film – mit sich selbst in der Hauptrolle – berichtet in lakonischem Stil von grotesken und aberwitzigen Situationen in einem ständigen Belagerungszustand bei geschlossenen Grenzen, von eskalierenden Nachbarschaftsfehden, Gewaltritualen und Machtmissbrauch. Vor diesem Hintergrund entwickelt sich eine Liebe zwischen einer Palästinenserin aus Ramallah und einem Palästinenser aus Jerusalem. Ihre einzige Erfüllung erlebt diese Liebe im Niemandsland zwischen den geschlossenen Grenzen am Kontrollpunkt der israelischen Armee. Der seit seiner Kindheit in der Schweiz lebende, aus dem Irak stammende Filmemacher Samir portraitiert in seinem mehrfach preisgekrönten Dokumentarfilm
Forget Baghdad: Juden und Araber - Die Irak-Connection fünf irakische Juden aus Bagdad, die durch die politischen Umwälzungen im Irak nach dem Zweiten Weltkrieg zusammen mit über 100.000 ihrer Landsleute gezwungen waren, zu emigrieren. Die meisten wanderten nach Israel aus und erlebten dort als Juden u n d Araber den Zusammenprall zweier Kulturen am eigenen Leib. Der Film belegt nicht nur das traditionelle Spannungsverhältnis zwischen askenasischen (west- und osteuropäischen) und sephardischen (arabischen) Juden in der israelischen Gesellschaft, sondern auch die reale Möglichkeit einer gelungenen, Beispiel gebenden Integration. Um den schleppenden Friedensprozess zwischen Israelis und Palästinensern wenigstens auf filmischer Ebene voranzubringen, produzierten die Filmemacher Justine Shapiro, B.Z. Goldberg und Carlos Bolado einen ungewöhnlichen Dokumentarfilm, der bereits zahlreiche Preise erhielt.
Promises nähert sich dem Dauerkonflikt im Nahen Osten einmal aus der Sicht von sieben israelischen und palästinensischen Kindern zwischen neun und dreizehn Jahren. Diese Kinder leben in und bei Jerusalem in ganz verschiedenen, hermetischen Welten, obwohl sie nur maximal 20 Autominuten voneinander entfernt wohnen. Der noch vor der zweiten Intifada im Jahr 2000 beendete Film setzt mit der Begegnung zweier junger Israelis mit Gleichaltrigen aus einem palästinensischen Flüchtlingslager ein winziges Zeichen der Hoffnung, dass es wenigstens dieser jungen Generation einmal gelingen werde, die Spirale der Gewalt zu durchbrechen. In einem Artikel über das gegenwärtige israelische Filmschaffen findet schließlich auch der auf der Berlinale 2003 vorgestellte Dokumentarfilm
Local Angel des in New York lebenden israelischen Künstlers Udi Aloni Erwähnung. Aloni reflektiert in persönlichen Begegnungen mit Künstlern und Persönlichkeiten aus Israel und Palästina – darunter auch die Begegnung seiner Mutter, der Friedensaktivistin Shulamit Aloni, mit Arafat – über den theologisch-politischen Hintergrund des Konflikts und mögliche Lösungen.