Wandern in der Welt der Viertausender

Das Jungfraujoch bietet mehr als die Sphinx-Terrasse und den Eispalast. Mit gutem Schuhwerk, Wetter- und Sonnenschutz ist die Gletscherwanderung zur Mönchsjochhütte (fast) jedermann zu empfehlen.

Hanspeter Mettler
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Es sieht trüb aus an diesem kühlen Julimorgen in Grindelwald: Weder Eiger noch Jungfrau zeigen sich, und es fällt Nieselregen. Umso grösser ist deshalb die Überraschung nach den anderthalb Stunden Zahnrad-Fahrt mit der Wengernalp- und der Jungfraubahn: Als wir auf dem «Joch» durch den Felsausgang auf den Jungfraufirn hinaustreten, blendet uns kräftig die Sonne. Zwar verschwindet sie ab und zu zwischen wild herumgewirbelten Wolkenfetzen, doch sie wird uns an diesem Tag die ganze Zeit begleiten. Glück gehabt!

Wir fragen einen Mitarbeiter der Jungfraubahn, ob die Tour zum Mönchsjoch heute machbar sei. Im singenden Berner Oberländer Dialekt wird uns beschieden, wenn wir bis am Mittag zurück seien, ja. Am Nachmittag jedoch könnte es kritisch werden: «Wenn auf dem Gletscher Blitze zucken, wird es ungemütlich.»

Weg nicht zu verfehlen

Also nichts wie los, die Marschzeit hin und zurück wird mit weniger als zwei Stunden angegeben. Eigentlich begeben wir uns mehr auf eine Wanderung denn auf eine Bergtour. Als ausgesprochene Besonderheit ist auf der Landeskarte im Massstab 1:25 000 hier der Wanderweg über den Gletscher eingezeichnet, für einmal blau statt wie üblich schwarz. Die Route wird ständig frisch gespurt, und selbst nach Neuschneefällen kann man sie dank den im Eis verankerten Jalons nicht verfehlen. Zum zweiten Mal passieren wir den Mönch, diesmal auf seiner Südseite – nachdem wir ihn vor knapp einer Stunde im Tunnel der Jungfraubahn schon durchfahren haben.

Die Wanderung, stets leicht ansteigend über insgesamt 200 Höhenmeter, ist ein Hochgenuss. Links der imposante Gletscherabbruch am Mönch, vor uns der Trugberg. Immer wieder geht der Blick hinab über verlässlich markierte Eisspalten zur Zunge des riesigen Aletschgletschers, Richtung Rhonetal. Richtig, wir befinden uns auf Walliser Boden. Die Station Jungfraujoch liegt in der Gemeinde Fieschertal. Die Jungfraubahn, die sowohl im Kanton Bern als auch im Kanton Wallis steuerpflichtig ist, hat kürzlich, im Vorfeld ihres 100-Jahr-Jubiläums vom nächsten Jahr, alle 290 Einwohner von Fieschertal aufs Joch eingeladen.

Erst kurz vor dem Ziel wird die Mönchsjochhütte sichtbar. Ein letzter Steilanstieg führt zur kühn auf Stelzen an den Berg geklebten Baute. Jetzt spüren wir, unakklimatisiert, wie wir sind, die Höhe. 3660 Meter, das sind, in die benachbarte Eigernordwand projiziert, nur 300 Meter unter dem Gipfel – also deutlich oberhalb der 1938 durch die Erstbesteiger berühmt gewordenen «Spinne». Über den Komfort im Haus können wir nur staunen. Ein geräumiges Restaurant mit 140 Plätzen lädt zur Stärkung. An schönen Tagen könne es schon sein, dass bis zu 600 Personen heraufkämen, sagt Christian Almer. Der gelernte Koch und Metzger aus Grindelwald ist stolz darauf, der «Chef» der höchstgelegenen bewarteten Hütte des gesamten Alpenraums zu sein.

Der 2004 erweiterte und modernisierte Bau bietet 132 Schlafplätze. Er ist ein idealer Ausgangspunkt für anspruchsvolle Hochgebirgstouren (auf dem Jungfraujoch existiert kein Hotelbetrieb). Ziele sind etwa die Jungfrau, das Fiescher- und das Walcherhorn, der Trugberg, der Eiger und der, so Almer, «gäng» unterschätzte nahe Mönch. In den Abstellräumen finden sich denn auch ganze Berge alpinistischer Geräte.

Gekocht wird mit Holz, ein Dieselmotor und eine Solaranlage liefern Strom. Die meisten Güter müssen mit dem Helikopter aus Lauterbrunnen heraufgebracht werden. Das Haus, geöffnet von Ende März bis Mitte Oktober, ist keine SAC-Hütte. Gemanagt wird es vom Bergführerverein Grindelwald. Die Jungfraubahn ist einer von 327 Genossenschaftern und dazu die Grundbesitzerin.

So behaglich wir uns in der Gaststube fühlen, so vernehmlich rüttelt der Wind an der Holzbaute. Mit bis zu 200 Kilometern pro Stunde könne der Wind über das Mönchsjoch jagen, sagt Almer. Auf dem Jungfraujoch seien einmal gar 285 Kilometer pro Stunde gemessen worden. Die Exponiertheit habe schon einen Einfluss auf die Zusammensetzung der Wanderer. Während in der Jungfraubahn die Ansagen unter anderem in Japanisch, Chinesisch und Koreanisch erfolgen – 60 Prozent der Fahrgäste stammen aus Asien –, hört man hier oben diese Sprachen seltener. Dazu trägt bei, dass den asiatischen Touristen auf ihren rastlosen Europa-Rundreisen oft die Zeit für die Wanderung zum Mönchsjoch fehlt. Kommende Woche dürfte die Hütte gleichwohl restlos ausgebucht sein: Es wird das Jubiläum der Erstbesteigung der Jungfrau vor 200 Jahren gefeiert (NZZ 8. 7. 11).

Schneidend-eiskalt

Der Rückweg ist ohne Anstrengung; Mühe bereitet einzig das Einsinken im etwas weich gewordenen Schnee. Kurz vor dem Ziel verschwindet das Observatorium auf der Sphinx in den Wolken, der Wind wird giftiger, um nicht zu sagen eiskalt. Keine Frage, das Wetter ist am Umschlagen. Die Besucherattraktionen auf dem Jungfraujoch sparen wir uns für ein nächstes Mal auf.