Akute Mittelohrentzündung

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Klassifikation nach ICD-10
H65 Nichteitrige Otitis media
H66 Eitrige und nicht näher bezeichnete Otitis media
H67* Otitis media bei anderenorts klassifizierten Krankheiten
ICD-10 online (WHO-Version 2019)

Die Akute Mittelohrentzündung (Otitis media acuta) ist eine schmerzhafte, in der Regel durch virale oder bakterielle Infektion verursachte Entzündung der Schleimhäute des Mittelohrs.

Klinisch wird die akute Mittelohrentzündung mit den Sonderformen Scharlach-Otitis, Masern-Otitis und Grippe-Otitis von der chronischen Mittelohrentzündung (Otitis media chronica) unterschieden.

Querschnitt durch das menschliche Ohr
links, weiß äußeres Ohr mit äußerem Gehörgang
rosa das Trommelfell
rechts, weiß das Mittelohr mit den Gehörknöchelchen (grau), siehe ausführliche Beschreibung

Ursachen[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]

Die bakterielle akute Mittelohrentzündung – die weitaus häufigere Form der akuten Mittelohrentzündung – wird überwiegend durch Pneumokokken, Streptococcus pyogenes, Haemophilus influenzae, Moraxella catarrhalis und Staphylokokken verursacht. Die Besiedlung des Mittelohres erfolgt meist kontinuierlich über die Eustachi-Röhre aus dem Nasenrachenraum (Nasopharynx), kann aber auch über den Blutweg (hämatogen) erfolgen.

Bei der viralen akuten Mittelohrentzündung erfolgt die Infektion meist über das Blut. Eine große Zahl von Viren können eine Mittelohrentzündung verursachen, in der Regel in Verbindung mit einem Infekt der oberen Luftwege. Die virale Infektion kann allein auftreten oder Wegbereiter einer bakteriellen Infektion sein.

Bei bestehender Trommelfellperforation können Krankheitserreger auch von außen, etwa durch Badewasser, eingeschleppt werden.

Bei der akuten serösen Mittelohrentzündung verursacht eine Schwellung der Schleimhaut durch einen Atemwegsinfekt den Verschluss der Eustachi-Röhre. Dadurch kann das Mittelohr nicht mehr ausreichend belüftet werden, es entsteht ein Unterdruck. Dieser kann zu einem Erguss in der Paukenhöhle führen, welcher als Druckgefühl im Ohr, Verschlechterung des Hörvermögens oder Rauschen wahrgenommen werden kann.

Häufigkeit[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]

Die akute Mittelohrentzündung ist keine seltene Erkrankung. Sie ist einer der häufigsten Beratungsanlässe in einer allgemeinmedizinischen Praxis.[1] Sie tritt häufig im Kindesalter auf, da in diesem Alter die Eustachi-Röhre noch kurz und weit ist und damit das Aufsteigen von Bakterien aus dem Nasenrachenraum erleichtert wird. Auch Säuglinge können an einer Mittelohrentzündung erkranken.

Akute Mittelohrentzündung, Entdifferenzierung, linkes Ohr

Häufigkeitsverteilung: 90 % aller Mittelohrentzündungen sind bakteriell, 10 % viral.

Diagnostik[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]

Bei der optischen Untersuchung des Gehörgangs und des Trommelfells (Otoskopie) mit einem Ohrtrichter (Otoskop) findet sich anfangs ein gerötetes, später ein entdifferenziertes Trommelfell ohne erkennbare Details. Dann wölbt sich das Trommelfell vor, nach einigen Tagen tritt aus einer kleinen Perforation Eiter aus. Im Laufe von zwei bis drei Wochen verschwindet die Rötung und das Trommelfell verdünnt sich wieder, die kleine Perforation heilt ab.

Akute Mittelohrentzündung, „schollige Trübung“ des Trommelfelles, linkes Ohr

Bei der viralen Otitis finden sich häufig auch mit seröser oder blutiger Flüssigkeit gefüllte Blasen auf dem Trommelfell (Myringitis bullosa), die schon nach Stunden platzen können und kurzfristig einen wässrig gelben oder blutigen Ausfluss verursachen.

Akute Mittelohrentzündung viral, Myringitis bullosa, linkes Ohr

Krankheitsverlauf und Symptome[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]

Die Erkrankung beginnt mit einer ein bis zwei Tage andauernden Entzündungsphase mit pulsierenden Ohrenschmerzen, Fieber, pochenden Ohrgeräuschen, Hörminderung und eventuell einem druckschmerzhaften Warzenfortsatz des Schläfenbeins. Auch Übelkeit und Erbrechen können auftreten. Eine virale Mittelohrentzündung klingt nicht selten mit dieser Phase ab. Bei der bakteriellen Mittelohrentzündung kommt es in den darauf folgenden drei bis acht Tagen (Abwehrphase) häufig zu einem spontanen Trommelfelldurchbruch mit Austritt von Eiter. Anschließend klingen Schmerzen und Fieber ab. Diese Phase wird durch Gabe eines Antibiotikums oft deutlich verkürzt und eine Trommelfellperforation wird vermieden. In diesem Zeitraum ist das Hörvermögen auf dem betroffenen Ohr deutlich eingeschränkt. Nach weiteren zwei bis vier Wochen ist die Mittelohrentzündung in der Regel abgeheilt.

Komplikationen[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]

Mastoiditis mit Subperiostalabszess
Das erneute Auftreten von Schmerzen, eitrigem Ausfluss aus dem Ohr und einer schmerzhaften Schwellung hinter der Ohrmuschel nach zwei bis drei Wochen – bei Kindern auch früher – sind typisch für eine Mastoiditis. Eine Mastoiditis ist eine Operationsindikation.

Häufige Mittelohrentzündungen können zu Vernarbungen des Trommelfells und Verwachsungen im Bereich der Gehörknöchelchen führen und eine bleibende Hörstörung (Schallleitungsschwerhörigkeit) zur Folge haben.

Therapie und Prophylaxe[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]

Körperliche Schonung, abschwellende Nasensprays oder -tropfen, entzündungshemmende Schmerzmittel wie Ibuprofen.

In der Regel heilt eine Mittelohrentzündung auch ohne Behandlung aus. Ein Abwarten ist daher unter ärztlicher Kontrolle für die ersten 2–3 Tage zu vertreten. Wenn nach dieser Zeit keine Besserung der Beschwerden eintritt, besteht die Gefahr einer Komplikation. In diesem Falle ist die Gabe eines geeigneten (=liquorgängigen) Antibiotikums (z. B. Amoxicillin oder bei Penicillinallergie Azithromycin oder Clarithromycin) indiziert. Zu beachten ist jedoch, dass Antibiotika nur bei einer durch Bakterien verursachten Mittelohrentzündung helfen – unnötige Antibiotikagaben bei Virusinfektionen sind zu vermeiden.[2]

Da Xylit das Wachstum von Pneumokokken und die Bindung von Pneumokokken und Haemophilus influenzae an die Zellen im Nasenrachenraum inhibieren kann, wird untersucht, ob die Gabe von Xylit eine vorbeugende Wirkung gegenüber einer akuten Mittelohrentzündung erzielt. Ein Cochrane-Report von 2016[3] hat die Evidenz über die Wirksamkeit und Sicherheit von Xylit (bei Dosen von bis zu 10 g pro Tag) zur Vorbeugung einer akuten Mittelohrinfektion bei Kindern bis 12 Jahre überprüft.[4] Es gibt moderate Evidenz dafür, dass bei gesunden Kindern die prophylaktische Gabe von Xylit das Risiko einer Mittelohrentzündung von 30 % auf 22 % senkt. Es besteht aber die Gefahr eines Bias, da nur wenige Studien vorliegen und diese meistens von derselben Arbeitsgruppe stammen.

Vorbeugung[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]

Gegen Pneumokokken und Haemophilus influenzae als häufige Erreger der bakteriellen Mittelohrentzündung stehen Impfstoffe zur Verfügung. Die Impfung gegen Pneumokokken und die Impfung gegen Haemophilus influenzae (HIB-Impfung) werden daher bei Kindern empfohlen.

Bei bestehender Trommelfellperforation ist beim Duschen und Baden ein Gehörschutz (Schwimmschutz) zu empfehlen. Bei Erwachsenen gelten Rauchen und diverse Allergien als Risikofaktoren, die eine Mittelohrentzündung fördern können.

Geschichte[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]

Die Mittelohrentzündung war Anfang des 20. Jahrhunderts noch nicht als bakterielle Infektion definiert, aber der aus dem Ohr auslaufende Eiter als zentrales Indiz für die Erkrankung erkannt. Der Volksmund sprach vom „Ohrenlaufen“, die Ärzte vom „Mittelohrkatarrh“. Sie unterschieden streng zwischen dem Krankheitsverlauf bei Kindern, wo in der Regel kein Eingreifen nötig sei, denn deren Trommelfelle seien „sehr zart und dünn“, und Erwachsenen, deren Trommelfelle „viel derber“ seien und deswegen durch den Druck des Eiters häufig perforierten, mit nachhaltigen Hörschädigungen. Als letztes Mittel helfe nur, „mit dem Messer die Öffnung in dem Trommelfell zu schaffen; eine kleine, dankbare und nicht schwere Operation, die man noch häufiger anwenden würde, wenn sie nicht schmerzhaft wäre“.[5]

Siehe auch[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]

Weblinks[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]

Einzelnachweise[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]

  1. Nach W. Fink, G. Haidinger: Die Häufigkeit von Gesundheitsstörungen in 10 Jahren Allgemeinpraxis. In: ZFA - Zeitschrift für Allgemeinmedizin. 83, 2007, S. 102–108, doi:10.1055/s-2007-968157. Zitiert nach Womit sich Hausärzte hauptsächlich beschäftigen. In: MMW-Fortschr. Med., Nr. 16, 2007, 149. Jg.
  2. Faktencheck Gesundheit, Bertelsmann Stiftung
  3. Amir Azarpazhooh et al.: Xylitol for preventing acute otitis media in children up to 12 years of age. In: The Cochrane Database of Systematic Reviews. Band 2016, Nr. 8, 3. August 2016, S. CD007095, doi:10.1002/14651858.CD007095.pub3, PMID 27486835, PMC 8485974 (freier Volltext) – (englisch).
  4. Krista Salli et al.: Xylitol's Health Benefits beyond Dental Health: A Comprehensive Review. In: Nutrients. Band 11, Nr. 8, 6. August 2019, ISSN 2072-6643, S. 1813, doi:10.3390/nu11081813, PMID 31390800, PMC 6723878 (freier Volltext) – (englisch).
  5. Die Mittelohrentzündung. In: Deutscher Hausschatz (christliche Zeitschrift), Heft 2, 1910, S. 67, Verlag Friedrich Pustet, Regensburg / New York.