758 | TVS 09/24

Stellen Sie sich vor, es gäbe ein neues Restaurant in Ihrer Stadt, das nach Jahren mühsamer Arbeit endlich eröffnet. Alles liebevoll renoviert, wunderbares Ambiente, tolle Küche – man merkt, dass hier sehr viele Menschen mit Leidenschaft und Freude ihr Bestes gegeben haben, um ihre Kundschaft zu erfreuen. In den ersten vier Wochen ist der Laden fast täglich bis auf den letzten Platz ausgebucht, nach dem Abebben des Opening-Hypes pendelt sich die Besucherdichte auf Normal-Niveau ein. Dem Investor ist das aber nicht genug, auch wenn das Publikum hoch zufrieden ist und es schon diverse Buchungen für die Zukunft gibt – der Geldgeber hatte sich einfach mehr Profit erhofft, vor allem aber viel schneller. Weshalb er kurzerhand eines Nachts den ganzen Laden abfackelt, um die Versicherungssumme zu kassieren. Egal wieviel Emotionen und Fleiß darin gesteckt haben und was aus den Mitarbeitern wird – hey, nicht persönlich gemeint! Eine rein geschäftliche Entscheidung.

Kennt man ja aus alten Mafia-Filmen, mögen Sie jetzt vielleicht denken. Ist aber auch in der Medienwelt aktuell leider eine gängige Business-Methode, sehr beliebt bei Sendern, Filmfirmen und vor allem Streaming-Diensten. BATGIRL von Warner Bros/HBO Max wird trotz Kosten von ca 90 Mio Dollar wohl nie erscheinen, obwohl er sich bereits in der Endfertigung befand. Nicht aus Qualitätsgründen, so der offizielle Wortlaut, sondern weil man keinen strategisch passenden Platz für ihn fand – und er rein rechnerisch als steuerliches Abschreibungsprojekt finanziell wesentlich lukrativer war. Auf ewig wird es nun ein Mythos bleiben, ob hier ein potenzielles Meisterwerk beerdigt wurde oder er doch einfach nur zu beschissen war – leider werden wir es wohl niemals erfahren.

Anders als bei diversen Streamern wie Disney, Paramount+ und anderen Anbietern, wo in den letzten Monaten Dutzende von Produktionen verschwanden, auch wenn die Resonanz und Kritiken durchaus positiv waren. Über Nacht gelöscht und nicht mehr auffindbar, so als hätte es sie nie gegeben. WILLOW und die Sex Pistols-Biographie PISTOL von Danny Boyle wurden beispielsweise rückstandsfrei entmaterialisiert, selbst zum Kauf sind sie nirgends mehr zu erwerben. STAR TREK: PRODIGY wurde aufgrund zahlreicher Proteste nach der Beerdigung wieder ausgegraben und bei Netflix reanimiert. Auch die treue Fan-Community von Tommy Krappweis‘ KOHLRABENSCHWARZ kämpft tapfer um ein zweites Leben bei ZDFneo, nur bis bei den Öffentlich-Rechtlichen mal jemand die Alarmglocke hört und nicht direkt wieder die Schlummertaste drückt, ist bislang leider jedes Schiff längst untergegangen. Dabei gibt es viele deutsche Serien unter den Opfern, die es wert wären, gerettet zu werden, allein um endlich zu beweisen, dass auch bei uns wesentlich mehr Kreativität und Qualität machbar wären, wenn man sie nur zuließe – und man ihnen ein wenig mehr Zeit gäbe, auch ihr Publikum finden zu dürfen.

Filme und Serien sind generell dazu da, von Menschen gesehen zu werden, unabhängig von ihrer Qualität – denn spätestens seit #SchleFaZ wissen wir ja, wieviel Freude selbst die schlechtesten bringen können, wenn man sie nur richtig schaut. Kein Kunstwerk hat es jedenfalls verdient, als finanzielles Abschreibungsopfer in der Tonne zu landen oder irgendwo einer einsamen Excel-Tabelle zu einer flüchtigen digitalen Erektion zu verhelfen. Wer als Unternehmen versucht, sich auf diese Art die Taschen zu stopfen, steht meist am Ende ohne Hosen da. Und das will wirklich niemand sehen!

Überraschungs-Ja

Für HOCHZEIT AUF DEN ERSTEN BLICK mussten sich bei SAT.1 bereits zahlreiche unbekannte Paare probeweise auf ewig binden und dann mal schauen, ob die Schmetterlinge im Bauch irgendwann erwachen, kotzen oder ins Koma fallen. Damit die unfreiwillige Zwangsverkupplung vielleicht etwas leichter fällt, geschieht das bei GESTRANDET… IN DEN FLITTERWOCHEN nun genauso, aber unter Palmen auf einer einsamen Insel im Indischen Ozean. Fairer Deal: wenn man schon nicht die wahre Liebe findet und sich zum Affen macht, hatte man wenigstens einen exotischen Urlaub!

Reality-Oscar

Schlimm genug, dass wir als Publikum immer mehr inhaltsleere Fremdscham-Formate mit behaupteten Pseudo-Promi-Pupsnasen beim Ausleben ihres intellektuellen Existenz-Minimums erdulden müssen. Nun wollen RTL und RTL+ diese Bekanntheits-Darsteller bei ihrer neuen REALITY AWARDS – Verleihung dieses mediale Dahinvegetieren auch noch mit einer Art Schrott-Oscar für die Kings und Queens der BallaBalla-Branche ehren. Die ersten Master-Promi-Kurse an der Uni werden ebenfalls vorbereitet und Fake-Reality als Schulfach ist nur eine Frage der Zeit. Ich freu mich vor allem auf das erste Studien-Angebot für den Bachelor auf Bachelor!

Goldfinger-Liebe

Apropos Bachelor: bereits diverse schmalzige Schmierlappen haben auf RTL sowohl solo als auch im Doppelpack nach was zum Knattern gesucht. Ebenso mehrere weibliche Bacheloretten und zahllose Ex-Bachelor-Bums-Begleitungen ‚in Paradise‘. Nun aber wird es auch in Deutschland Zeit, die US-Variante des GOLDEN BACHELOR für die Ü-60-Generation auf den Bildschirm zu holen, bei der kein alter Humpel, sondern ein ‚Traummann in den besten Jahren‘ auf 20 ebensolche Frauen treffen wird. Im Grunde nichts Besonderes – für die Erfinder der Werberelevanten Zielgruppe der 14-49jährien allerdings durchaus mutig!

757 | TVS 08/24

Das Leben wird irgendwie immer schwerer. Dabei könnte doch alles so einfach sein. So wie früher, da kam es einem jedenfalls so vor. Auch damals hat man sich zwar über das Gegenteil beklagt, aber im Grunde nur um überhaupt Gesprächsstoff zu haben, in Wahrheit war die Gesamtsituation noch sehr übersichtlich. Auch vor vier bis fünf Jahrzehnten hatten wir schon Strom, fließend Wasser und Farb-TV, aber nur zwei Sender und ein paar Zerquetschte. Reichte völlig aus, die Auswahl war durch den Mangel an Alternativen viel schneller getroffen als heute, man behielt eine gewisse respektvolle Grund-Dankbarkeit und fand bei Bedarf dennoch genug zum Meckern.

Probleme gab es auch zu jener Zeit schon mehr als ausreichend, aber die Öffentlichkeit kannte sie zum Glück noch nicht alle. Einen Großteil behielten die Experten dezent für sich, um die Bevölkerung nicht zu verunsichern oder der Wirtschaft zu schaden. Die drohende Klimakrise war beispielsweise schon recht früh bekannt, stand aber nicht direkt vor der Tür und war noch einen Block entfernt, und der Begriff ‚Ozonloch‘ ließ hoffen, dass man das schon irgendwie stopfen könne. Die Überbevölkerung war absehbar, aber vorerst noch nicht bedrohlich für die westliche Welt, solange alle in ihren eigenen Ländern bumsten und nicht zu uns wollten. Der Krieg blieb kalt und schien irgendwann im globalen Sinne sogar obsolet, aber an kleineren Konflikten konnte man durch attraktive Waffengeschäfte durchaus erquicklich profitieren, wodurch die lokalen Massaker in der Ferne sogar das heimische Sozialsystem stärkten – Win-Win für Alle! Täglich Fleisch essen war irgendwann für alle bezahlbar und dazu noch lecker – wen interessierte es da, wie es den unbekannten Tieren vor dem Karriere-Höhepunkt auf unserem Teller erging?

Wer nicht fragte, blieb zwar dumm, aber auf eine angenehme Art. Man muss ja auch gar nicht immer alles wissen, wenn es am Ende nur die Laune verschlechtert! Heute machen wir uns das ganze Leben nur unnötig kompliziert, weil wir immer mehr versuchen, die Welt zu retten. Können wir als hilflose Einzelperson, Gruppe, Land oder Kontinent aber eh nicht ohne dass die anderen mitziehen, die an allem dazu auch noch viel mehr Schuld haben als wir! Da kann man genauso gut einfach alles so lassen wie bisher. Macht die Zukunft zwar nicht besser, aber zumindest die Gegenwart weniger anstrengend.

Je komplizierter das Weltgeschehen wird, desto mehr sehnt sich der Mensch nach einfachen Antworten. Wären nicht plötzlich alle so woke und weltoffen, könnte man weiter in Freiheit alles sagen, ohne dass jemand einen darauf hinweist, was für Scheiße man gerade labert. Gäbe es in unserem Land weniger Ausländer, würden Verbrechen nur noch von Inländern verübt – und denen könnte man aufs Maul hauen, ohne gleich als Rassist zu gelten! Hätten mehr Menschen wie Trump oder Putin das Sagen, dann gäbe es zwar weniger Freiheit, aber dafür klare Ansagen – also nicht für mich, aber die Anderen, die immer denken, sie könnten sich Alles erlauben!

Logisches Denken und das sachliche Analysieren komplexer Sachverhalte machen das Leben nun mal nicht leichter. Wozu also die Mühe? Da such ich mir doch lieber ne einfache Lösung und lache über die anderen, wenn’s nicht funktioniert. Und sollte die Welt wirklich untergehen, kann ich immer noch sagen ‚Hab ich‘s doch gewusst, dass die wieder Scheiße bauen!‘ Einfach ist und bleibt einfach schöner!

Ausgekocht

Achtung: SAT.1 besitzt laut stolzer Eigenaussage eine ausgewiesene ‚Food-Kompetenz‘ – heißt, sie haben besonders viele Sendungen im Programm, in denen gekocht und/oder gefuttert wird. Nicht weil die billig sind oder ihnen sonst nix einfällt, sondern wegen eben dieser verpflichtenden Kompetenz. Deshalb gibt es demnächst am Nachmittag das neue Food-Fun-Format DREI TELLER FÜR LAFER, in dem drei Hobbyköche unterschiedlichen Alters je einen Schmackofatz-Teller kreieren müssen, von denen Lafer dann den Sieger kürt. Klingt als würde SAT1 auch seine Langeweile-Kompetenz stärken wollen!

Überfragt

Auch die ARD hat durchaus ihre Probleme mit erfolgreichen Programmen am Nachmittag, bevor ab 18 Uhr diverse quotenstarke Quiz-Formate laufen. Die Kreuzfahrt-Doku VERRÜCKT NACH MEER kommt daher vorübergehend ins Trockendock, dafür läuft demnächst vor der täglichen Vorabend-Quiz-Strecke zur Abwechslung ein auflockerndes neues Quiz-Format. FRAG MICH WAS LEICHTERES! wird es heißen und es soll um Fragen gehen, die von Sportschau-Moderatorin Lea Wagner gestellt werden und die andere Menschen dann beantworten müssen. Mehr wurde aber noch nicht verraten, um nichts zu spoilern. Quiz-Frage: Sind Sie schon aufgeregt? Antwort-Optionen: A: Nein / B: Bitte was? / C: Gute Nacht! Wählen Sie jetzt!

Abgelaufen

Noch wird bei RTL daran gefeilt, uns erneut mit dem Last-Days-of-Jesus-Live-Event DIE PASSION zu faszinieren, aber für Ende September plant man dort bereits das nächste Spektakel in Echtzeit, diesmal aus dem Sport-Bereich: die Übertragung des 50. Berlin-Marathons! Spannend wie die Europa-League ohne Fußball oder die Formel 1 zu Fuß – die letzte Herausforderung des aufrecht laufenden Homo Sapiens! Ganz ohne Hilfsmittel oder göttlichen Beistand, stattdessen werden wahrscheinlich ein paar fiese Dschungelcamp-Fallen und RTL-Poller-Promis als Hindernisse aufgestellt. Und Joachim Lambi ruft den Teilnehmern vom Rand aus entrüstet zu, wie scheiße sie laufen!