MARC ALMOND: The Velvet Trail

Seinen jungenhaften Charme wird er wohl niemals einbüßen, ebensowenig seine Schwäche für plüschige Melodramatik und sein Talent für Texte voll kleiner abseitiger Geschichten, bei denen es beinahe gleich ist, ob sie aus seiner eigenen Feder oder von einem seiner zahlreichen Idole stammen – Marc Almond ist ein Sänger mit einer ganz eigenen Vision und einer bemerkenswerten Stehaufmentalität. Schön, dass sich mittlerweile auch die großen Popgazetten wieder für ihn interessieren. Dass es bisher nur die englischen sind, ist einzig dem Geiz seines Labels zu verdanken.

Als Almond vor fünf Jahren beteuerte, nach seinem „Varieté“-Album keine eigens verfassten Songs mehr aufzunehmen, nahmen ihn ohnehin nur wenige beim Wort, war doch bereits dieser bescheidene Vorsatz nicht der erste seiner Art. Und so ist das neue „The Velvet Trail“, das Marc mehr als seine handvoll Vorgänger wieder von seiner poppigen Seite zeigt, auch gar keine so große Überraschung. Vielmehr hat es eine Reihe an Deja-Vu-Erlebnissen für all jene in petto, die Almonds Stil und seine besonderen Stärken kennen.

Marc ist kein Chamäleon und doch sehr wandlungsfähig. Seine typischen Motive, mögen sie textlicher oder gesanglicher Art sein, vermag er stets in unterschiedliche Stile einzubetten, und nicht selten ist es eine bestimmte zentrale Person, die als Komponist, Begleitmusiker oder Produzent dem ganzen ein bestimmtes und fast immer passendes Gepräge gibt. Nach Michael Cashmore auf „Feasting with Panthers“ ist es diesmal der renomierte Studiomann Chris Braide, der mit Popstars wie Beyoncé und Lana del Rey arbeitete und auf „Circus“ sogar Britney Spears zu adeln wusste.

Die eigene Färbung, die aus der Zusammenarbeit entsteht, lässt typische Almond-Motive auch diesmal nicht redundant erscheinen: Eine ganz eigene Mischung aus Melancholie und Euphorie, Geschichten über die Traumata des Erwachsenwerdens oder die Liebe zu einem Bad Guy, die in schlagerhaften Zeilen wie „Kiss me one last time before it dies“ besungen werden. Vieles, dass wohl bei den meisten anderen ins nur noch Triviale kippen würde, bekommt hier so etwas wie Tragik – nicht weil, sondern obwohl es mit so großer Inbrunst vorgetragen wird, und wie er das schafft, bleibst eines seiner Geheimnisse. Dass dies keine späte Errungenschaft ist, fällt einem vielleicht in „Winter Sun“ ein, wenn er fast beiläufig die Frage „Where did our love go?“ ins Mikro haucht.

In dem dreiaktigen Songzyklus, der durch streicherlastige Instrumentaleinlagen unterteilt ist, kristallisieren sich einige Höhepunkte heraus, und wenn es etwas zu kritteln gäbe, dann einzig dass die größten Songs gleich zu Anfang kommen. „Bad to me“, ein ambivalenter Lovesong, der zugleich die Größe des Vergebens und die Unfähigkeit loszulassen besingt, ist mit seiner luftigen Produktion und seinem Uptempo der perfekte Ohrwurm, das fetischistische „Zipped Black Leather Jacket“ ist noch schmachtvoller und steht dem in nichts nach. „Scar“ besingt die Entfremdung von einem einst vertrauten Menschen und kulminiert in der Beteurung „I will never love again“, die in Almonds Songs („Unborn Stillborn“, „Night and Dark“) schon so oft erklang.

Fraglos ist die Stimme, die in Almonds Songs zu einem spricht, so ziemlich das Gegenteil liebloser Abgeklärtheit, ebenso sehr wie der Sänger gewiss noch etliche eigene Songs schreiben wird, auch wenn er es sich wieder einmal anders vornehmen solltet. Zumindest sollte das so sein, wie er auf „The Velvet Trail“ hinlänglich beweist. (U.S.)

Label: Cherry Red