Rotbart

Original: Akahige (1965) von Akira Kurosawa

Es gibt diese ganz seltenen Filme, die dem Zuschauer mit aller Brutalität die Grausamkeit und Unerträglichkeit des Lebens vor Augen führen und gleichzeitig dessen einzigartige Schönheit zelebrieren und klar machen, warum das Leben trotz aller Beschwernis in jeder Sekunde lebenswert ist. So ein Juwel ist Rotbart.

Der junge Arzt Yasumoto (Yuzo Kayama) tritt nach dem Ende seines Studiums eine Stelle in einem ländlichen Armen-Hospital an. Obwohl völlig unerfahren, tritt er hochnäsig und eingebildet auf und weigert sich zunächst, seinen Pflichten nachzukommen und sich den strikten Regeln des „Rotbart“ genannten Chefarztes Niide (Toshiro Mifune) zu unterwerfen. Für diesen stehen immer die Patienten an erster Stelle, zudem hat er ganz eigene Ansichten über das Leben und die Heilung der physischen und psychischen Wunden, die es den Menschen zufügt.

Je mehr Yasumoto jedoch erlebt, wie selbstlos Niide Gutes tut und sich für seine Patienten einsetzt und je mehr er selbst über das Leben und die Arbeit eines Arztes erfährt, um so mehr beginnt er, Niide zu achten. Als er dann seinen ersten eigenen Patienten, das junge, in einem Bordell misshandelte Mädchen Otoyo, zugewiesen bekommt, beginnt er, in Niides Fußstapfen zu treten und dessen Lektionen selbst zu leben und an Otoyo weiterzugeben.

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Symbol der Güte, der Hilfsbereitschaft und der Erkenntnis des Guten selbst wird in Rotbart das Licht einer einzelnen Kerze. In fast allen für die Entwicklung der „Schüler“ Yasumoto und später Otoyo wichtigen Szenen brennt eine Kerze: In den Gesprächen zwischen Niide und Yasumoto, während Yasumoto die junge Otoyo pflegt und schließlich, als das Mädchen beginnt, seine traumatische Vergangenheit zu überwinden und das Gute zunächst in Yasumoto und dann auch in sich selbst zu erkennen und diese Güte zurück- und weiterzugeben.

So wie Niide anfangs Yasumoto zum Schüler nahm und ihn die Erkenntnis des Guten lehrte, so nimmt sich Yasumoto die junge Otoyo zur Schülerin, und diese wiederum einen kleinen Jungen. Kurosawa entzündet gewissermaßen eine Kerze für das Gute und zeigt uns, wie sich diese kleine Flamme in einer Art Lichterkette von Mensch zu Mensch ausbreitet.

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Dass Rotbart trotz dieser scheinbar banalen humanistischen Botschaft niemals in Banalitäten abgleitet, liegt zum einen daran, dass der Weg zur Erkenntnis des Guten steinig ist. Wie so oft demonstriert Kurosawa dies mittels des Verhältnisses von Schüler und Meister.

Niide bietet mit seiner nach außern hin abweisenden, zynischen Art reichlich Reibungsfläche für den jungen Yasumoto, der aber bald erkennt, dass unter der rauen Haut Niides ein unermüdlicher Kämpfer für das Gute steckt. Die anhand der furchtbaren Schicksale der Patienten (Vergewaltigungen, Misshandlungen, zerrissene Familien, Selbstmorde) demonstrierte unerträgliche Realität ignoriert Niide mit unendlicher Sturheit und Geduld. Nichts kann ihn davon abbringen, Menschen zu helfen und ihnen Gutes zu tun.

Zum anderen zeigt Kurosawa aber auch die Schattenseiten von Niides Kampf für das Gute: Dieser legt nicht nur sich selbst und seinen Ärzten ein asketisches Leben auf sondern greift auch zu Lügen und Erpressung und prügelt zur Not auch ein paar Schurken krankenhausreif. Er ist sich der Zwiespältigkeit seines Tuns bewusst und es ist für ihn nicht immer leicht, damit umzugehen. Doch er hat für sich entschieden, was „das Gute“ ist, handelt entsprechend und verleiht dadurch seinem Leben Sinn. Yasumotos schwere Aufgabe besteht darin, ihm auf diesem Weg zu folgen.

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Doch Kurosawa beschäftigt sich nicht nur mit seinem Dauerthema Schüler-Lehrer, er berichtet auch konsequent und mit verschiedenen Mitteln (Erzählungen aus erster oder zweiter Hand, ausgedehnte Flashbacks) von den Schicksalen der Patienten. So etwa das einer Frau, die in ihrer Kindheit wiederholt vergewaltigt wurde und in der Folge mehrere Männer nach dem Geschlechtsakt ermordete.

Im Kontrast dazu stehen einige Szenen, die wenig Bedeutung für die Entwicklung der Geschichte oder der Charaktere haben, deren pure Schönheit aber zum Sinnbild für die Möglichkeit eines erfüllten, glücklichen und sinnspendenden Lebens werden.

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Bei der Bildkomposition auffallend ist die selbst für Kurosawa exzessive Verwendung von Ojektiven mit extrem langer Brennweite. In zahlreichen Szenen verschmelzen Vorder- und Hintergrund zu einer Ebene und der dargestellte Raum wird extrem komprimiert, was vereinzelt zu Desorientierung des Zuschauers führen kann, etwa wenn in einer Einstellung Yasumoto direkt vor der Tür zu sitzen scheint und in der nächsten, aus anderer Perspektive gezeigten Einstellung plötzlich klar wird, dass er sich in Wirklichkeit mitten im Raum befindet.

Besonderen Gebrauch macht Kurosawa in Rotbart von Sound und Musik. Das wird bereits während des Vorspanns deutlich, in dem in Großaufnahme die Dächer der Klinik und der Stadt gezeigt werden. Die darüber gelegte Titelmusik bricht jedoch immer wieder ab und Geräusche aus Stadt und Natur werden hörbar. Solche immer wieder eingestreuten Hintergrundgeräusche machen die Welt des Films auch akustisch greifbar. Die zauberhaft leichte, geradezu beschwingte Musik von Masaru Sato kommt nur in seltenen Momenten zum Einsatz, benötigt dann aber nur wenige Akkorde, um ihre ganze Emotionalität zu entfalten und unterstützt die Wirkung der Bilder hervorragend.

Das Zusammenspiel der brillanten Bilder mit der berührenden Musik und den akustischen Effekten schafft immer wieder Momente von exquisiter Schönheit. Den entstehenden Konflikt mit den dargestellten deprimierenden Einzelschicksalen löst Kurosawa durch die Rotbart und vielen anderen seiner Filme zu Grunde liegende Botschaft auf: Selbsterkenntnis, Hingabe an ein höheres Ziel und Einsatz für die Verbesserung gesellschaftlicher Umstände machen das Leben trotz aller Beschwernis lebenswert und ermöglichen es, seine Schönheit zu erfahren.

Wohin man auch sieht, die Zeichen stehen auf Frühling: Die Vögel zwitschern, Pendler kommen bei Tageslicht nach Hause, zartes Grün zeigt sich auf Bäumen und Büschen, und es werden wieder ein paar tolle DVD-Neuerscheinungen angekündigt:

  • Trigon, von manchen als das schweizer Pendant zur Criterion Collection betrachtet ob der anspruchsvollen internationalen Filmauswahl, der hohen technischen Qualität der Veröffentlichungen und der saftigen Preise, bringt zwei junge Werke zweier Altmeister zu uns: Yoji Yamadas Tokyo Family, eine Neu-Interpretation des Ozu-Klassikers Tokyo Story, ist für den 8.8. angekündigt, zum Preis von 23 CHF oder 19 Euro. Am 30.4. erscheint zudem Like Father, like son von Hirokazu Kore-eda, für 26 CHF bzw. 21 Euro.
  • Aber das sind nur die aktuellen Filme, darüber hinaus erweitert Trigon in den nächsten Wochen sein Kurosawa-Programm kräftig: Am 31. März kommen mit Rotbart, Das Schloss im Spinnwebwald, Engel der Verlorenen und Die verborgene Festung vier der großen Klassiker dazu, am 30.4. kommt dann noch Dersu Uzala dazu. Besonders auf letzteren freue ich mich tierisch, da es diesen außergewöhnlichen Film bisher bestenfalls in durchwachsener Qualität bei uns gab. Die Ausgabe von Trigon sollte da Abhilfe schaffen.
  • Und dann gibt es ja noch Third Window Films, dieses Label das ein unglaubliches Händchen speziell für schräg-liebenswerte Filme hat. Diesen Ruf bestätigen die Engländer mal wieder mit Story of Yonosuke, dem neuen Film von Shuichi Okita (ab 14. April). In eine andere, ernstere Richtung geht dagegen das Drama Shady, das als bestes Regiedebut auf dem Raindance Festival nominiert war.  Ab 24. März könnt ihr eure Neugier befriedigen.

Original: Dodesuka-den (1970) von Akira Kurosawa

Eine bunt zusammengewürfelte Gruppe von Bewohnern eines Slums am Rande Tokyos kämpft um das Überleben im Alltag, darunter auch Rokku-chan, ein geistig zurückgebliebener Junge, der in der Illusion lebt, Straßenbahnführer zu sein. Jeden Morgen fährt er seine nicht-existente, dafür aber innig geliebte Bahn – sie ist schon ein etwas älteres Modell und die Wartungsmannschaften lassen sie manchmal links liegen – mit weithin hörbarem „dodeskadendodeskadendodeskaden“-Geratter durch die Müllberge.

Auf seiner Runde begegnen ihm die Familie Sawagami, deren Kinder alle von verschiedenen Männern stammen weil die Mutter eine hochnäsige Schlampe ist, was den Vater aber nicht davon abhält, jedes einzelne aus tiefstem Herzen zu lieben. Oder die befreundeten Ehepaare Masuda und Kawaguchi, die sich im Suff schon mal in der Haustür und im Partner für die Nacht irren, was ihrer Freundschaft aber keinen Abbruch tut.

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Weitere Charaktere wären der Bettler, der nur seinen Tagträumen von einem bombastischen Haus nachhängt, während sein kleiner Sohn sich um ihr Überleben kümmert und betteln geht. Oder der einsame, zurückgezogen lebende Mann, dessen eisiges Schweigen ein tiefes, schreckliches Geheimnis zu verbergen scheint, das allen Nachbarn Rätsel aufgibt. Oder das Mädchen Katsuko, das bei seiner Tante lebt und für deren Mann nicht nur Tag und Nacht schuften muss, sondern auch noch von ihm missbraucht wird.

So hat jeder der Slumbewohner sein Päckchen zu schultern, und jeder hat seine Art, damit umzugehen. Für manche ist das Mittel der Alkohol, andere denken an Selbstmord oder geben sich Träumereien hin wie der Bettler. Manche Schicksale sind zum Herzzerreißen wie das von Katsuko, die in ihrer Verzweiflung und Einsamkeit alles in sich hineinfrisst und am Ende den einzigen Menschen, der ihr etwas bedeutet, in einer hysterischen Attacke umzubringen versucht.

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Andere wie die beiden dauerbetrunkenen Kumpels sind in ihrer drolligen Tolpatschigkeit einfach lustig. Wieder andere, wie der gehbehinderte und von epileptischen Anfällen geplagte kleine Angestellte, der dennoch immer gut gelaunt und stets hilfsbereit ist, lassen den Zuschauer dann die Niederträchtigkeit und das Elend vergessen und wieder an das Gute im Menschen glauben.

So zeigt der Film einen nahezu zeitlosen Ausschnitt dessen, was Menschsein und menschliches Zusammenleben ausmacht, allerdings mit einem Schwerpunkt eher auf den Tiefen als den Höhen. Die Menschen in Dodeskaden sind tagtäglich mit dem Kampf ums Überleben und um die Wahrung ihrer Menschenwürde konfrontiert und gehen mit dieser Herausforderung völlig unterschiedlich um. Doch der Film bleibt dabei immer in einer bitter-süßen, humoristisch-leichten Stimmung verhaftet, die Kurosawa sehr wichtig war: „Hätte ich diesen Film ganz ernst gedreht, wäre er unerträglich depressiv geworden.“

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Diese Stimmung wird zu einem guten Teil mit getragen von den manchmal geradezu aggressiven, unglaublich lebendigen Farben in Kurosawas erstem Farbfilm. Anders als seine prominenten Vorgänger Ozu oder Mizoguchi, die in ihren Farbfilm-Debuts eher zurückhaltend-realistisch und wenig innovativ mit der neuen Technik umgegangen waren, lässt Kurosawa es richtig knallen. Seine Wurzeln in der Malerei werden an vielen Stellen deutlich, nicht zuletzt in der finalen Szene in Rokku-chans über und über mit kindlichen Bildern seiner Straßenbahn behängten Hütte.

Diese beeindruckend farbenfrohen und wunderschön anzusehenden Bilder tragen den Film über weite Strecken, denn eine echte Handlung gibt es nicht und die Charaktere der einzelnen Episoden sind durch nichts – abgesehen von ihrer räumlichen Nähe – miteinander verbunden. So fehlt dem Film auch ein für Spannung sorgender Konflikt, geschweige denn ein Held oder eine sonstige Identifikationsfigur.

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Das unterscheidet Dodesukaden denn auch von den thematisch ähnlich gelagerten früheren Filmen Kurosawas, wie Ein wunderschöner Sonntag, Nachtasyl oder Rotbart. Besonders die Parallelen zu Nachtasyl sind an vielen Stellen in der Anlage und Konstellation der Charaktere zu erkennen, ohne dass Dodesukaden dadurch aber an die – wenn auch negative – Kraft, Eindringlichkeit und Leidenschaft des Vorläufers anknüpfen könnte. Vielmehr plätschert der Film über weite Strecken einfach so dahin.

Dodesukaden war nicht nur Kurosawas erster Farbfilm, es war zugleich auch der erste und einzige Film, der vom „Club der vier Ritter“ realisiert wurde, einem Studio, das Kurosawa zusammen mit Keisuke Kinoshita, Masaki Kobayashi und Kon Ichikawa gegründet hatte. Nach Dodesukaden war das Studio denn auch sogleich pleite, weil der farbenfrohe Film beim Publikum durchfiel. Man geht allgemein davon aus, dass diese Enttäuschung und die schwierige Suche nach einem Anschlussprojekt einen erheblichen Anteil an Kurosawas Selbstmordversuch im darauf folgenden Jahr hatten.

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Für Kurosawa-Enthusiasten ist Dodeskaden – Menschen im Abseits ein absolutes Must-see, nicht zuletzt wegen der Farbexperimente und der wichtigen Rolle als Bindeglied zwischen den zutiefst humanistisch-optimistischen schwarz-weiß Filmen und den späteren berühmten, an der Menschheit verzweifelnden Schlachtengemälden von Kagemusha und Ran. Und auch wer sich gerne mal ein filmgewordenes expressionistisches Experiment ansehen möchte, wird an diesem Film seine Freude haben.

Viel spannendes und lesenswertes tauchte in den letzten Wochen und Monaten in meinem RSS-Reader auf und ein paar Highlights möchte ich heute hervorheben und zur Lektüre weiterempfehlen:

  • Ein interessanter Vergleich von Takeshi Kitanos Zatoichi mit der ursprünglichen Serie bringt Wildgrounds zu dem Urteil, Kitano habe den „Anti“-Zatoichi gedreht. Spannende These, da lässt sich gut diskutieren!
  • Ebenfalls auf Wildgrounds findet sich ein Verriss von Shion Sonos neuestem Werk Himizu, das gerade auch in Großbritannien auf DVD erschienen ist und auf meiner Einkaufsliste steht. Werde mir dann hoffentlich auch bald ein Bild machen können.
  • Ad Blankestijn hat sich in einem ausführlichen Porträt dem Schauspieler Yuzo Kayama gewidmet, mir und vielen anderen wahrscheinlich vor allem als junger Arzt in Kurosawas Rotbart bekannt. Dabei scheint Kayama eine ziemlich schillernde Figur gewesen zu sein, er war auch als Sänger sehr erfolgreich und spielte die Hauptrolle in einer der erfolgreichsten Filmreihen der 60er Jahre.
  • Das Bateszi Anime Blog wirft einen Blick auf einen Evangelion-Vorgänger aus dem Hause Gainax: Gunbuster. Anlass ist, dass die Filmversion vor kurzem in den USA auf Bluray erschien. Das einzige Manko dieser Ausgabe scheint zu sein, dass es sich um den Film handelt und nicht um die komplette Serie. Ansonsten scheinbar ein echter Klassiker.
  • Gleich eine ganze Reihe von frühen Filmen des umstrittenen Regisseurs Koji Wakamatsu hat Micha auf Schneeland gesichtet. Besonders spannend fand ich dabei The Embryo hunts in secret, seinen ersten Film nach dem Abschied von Nikkatsu, sowie Season of Terror. Beide scheinen sich am Rande des Pink Films zu bewegen, aber mit reichlich gesellschaftskritischen und politischen Subtexten zu jonglieren. Weitere Rezensionen zu Filmen Wakamatsus sollen noch folgen, also schaut auf Michas Blog vorbei und bleibt am Ball!

Viel Spaß beim Lesen!

Original: Shizukanaru kettō (1949) von Akira Kurosawa

Während einer Operation in einem Kriegslazarett schneidet sich der Arzt Fujisaki (Toshiro Mifune) und steckt sich anschließend bei seinem Patienten mit der Syphilis an. Nach Kriegsende kehrt er in die Klinik seines Vaters und zu seiner Verlobten Misao (Miki Sanjo) zurück und unterzieht sich heimlich einer Therapie. Doch ihm ist klar, dass es Jahre dauern wird, bis er die Krankheit überwunden haben wird. Obwohl es ihm beinahe das Herz zerreißt beendet er daher die Verlobung ohne Angabe von Gründen, damit Misao mit einem anderen Mann glücklich werden kann.

Seine Krankheit bleibt aber nicht allen verborgen: Eine der Krankenschwestern (Noriko Sengoku) überrascht ihn, als er sich eine Injektion setzt. Sie vermutet, dass er sich die Syphilis in einem Bordell zugezogen hat und verachtet ihn deshalb zunächst. Doch als sie die Wahrheit erfährt und versteht welche Überwindung es ihn kostet, Misao zu ihrem eigenen besten ziehen zu lassen, betrachtet sie Fujisaki mehr und mehr als einen Heiligen. Entsprechend groß ist ihre Empörung, als der Mann in der Klinik auftaucht, bei dem Fujisaki sich angesteckt hatte – und der ohne seine Krankheit behandeln zu lassen seine Frau geschwängert hat.

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In vieler Hinsicht ist The Quiet Duel ein Musterbeispiel aus dem frühen Werk Kurosawas. Wie schon im Jahr zuvor in Der trunkene Engel dient ihm eine Krankheit als Metapher für den Zustand der Gesellschaft – dass es nun die Syphilis statt der Tuberkulose ist, lässt vermuten, dass die sozialkritische Haltung des Regisseurs eher noch zugenommen hat. Auch das Schüler-Meister-Verhältnis ist in stark zurückgenommener Form in der Verehrung der Krankenschwester für den Arzt vorhanden.

Und seinen Helden lässt er wieder gegen die Auswüchse verantwortungslosen, schändlichen Handelns ankämpfen, verkörpert durch den Syphilis-Patienten, der die Gefahren der Krankheit herunterspielt, ihre Konsequenzen nicht akzeptieren will und ohne Rücksicht auf die Gesundheit seiner Frau mit ihr schläft. Zugleich muss Fujisaki aber auch einen Kampf mit sich selbst austragen, um nicht genau so zu handeln. Dieses Ringen zwischen seiner verantwortungsvollen, fürsorgenden und selbstlosen Seite und den Instinkten und Begierden in ihm ist das eigentliche, titelgebende stille Duell.

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Ein großes Problem des Films ist jedoch, dass dieses Duell mit Ausnahme von zwei kurzen Momenten (Fujisakis Beichte an die Krankenschwester und sein Abschied von Misao) nicht wirklich fesselt und speziell in den Szenen mit Misao häufig ins melodramatische abdriftet. Zudem will die Überhöhung des Arztes in heiligengleiche Gefilde einfach nicht so recht gelingen und wirkt gerade in den finalen Szenen schon fast unfreiwillig komisch. Fünfzehn Jahre später gelang Kurosawa dann mit dem eigenwilligen Arzt Niide in Rotbart eine perfekte Mischung aus übermenschlicher, aber zugleich augenzwinkernder Arztfigur.

Interessant ist, dass Kurosawas Wahl für die Rolle des Arztes auf Toshiro Mifune fiel, der in seiner bis dahin kurzen Karriere praktisch nur Gangster gespielt hatte. Doch Kurosawa glaubte an sein Talent und wollte ihm die Chance geben, sich mit dieser völlig anderen Rolle weiterzuentwickeln und setzte sich gegen die Bedenken des Studios durch. Mifune spielt zwar exzellent, dennoch fällt es mir jedesmal wieder schwer, ihm diesen rationalen, beherrschten und fast intellektuellen Arzt abzunehmen – die überbordende Emotionalität seiner meisten anderen Rollen wiegt einfach sehr schwer.

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Kurosawa selbst schreibt in seiner Autobiographie mit großer Begeisterung von den Dreharbeiten an The Quiet Duel, gesteht aber ein, dass er mit dem Ergebnis nicht wirklich zufrieden war und es ihm nicht gelang, seine Botschaft wie gewünscht zu vermitteln. So ist der Film zwar keiner der großen Kurosawas und hat mit einigen Unzulänglichkeiten zu kämpfen. Dennoch bietet er auch einige interessante Highlights, allen voran die eröffnenden Szenen im Kriegslazarett mit ihrer enorm dichten Atmosphäre sowie einen jungen Toshiro Mifune in einer ziemlich ungewohnten Rolle.

Sugata Sanshiro (1943) von Akira Kurosawa

Kurosawas Erstlingswerk schildert die Geschichte des jungen Sanshiro (Susumu Fujita), den es in die Stadt zieht, um Jiujitsu zu erlernen. Doch als er Zeuge wird, wie der Judo-Meister Yano (Denjiro Okochi) eine ganze Truppe Jiujitsu-Kämpfer besiegt, bittet er diesen, in seine Schule eintreten zu dürfen. Dort wird Sanshiro von Yano jedoch nicht nur die Kunst des Kampfes gelehrt. Der weise Meister fordert von Sanshiro, der sich als überaus begabt erweist, zugleich Demut und Respekt anderen gegenüber und die Bereitschaft, lebenslang an sich selbst zu arbeiten.

Dem jungen Sanshiro fällt diese Entwicklung nicht leicht, immer wieder muss er mit sich und seinem ungestümen Wesen ringen. Als er sich in die Tochter seines Meisters verliebt, zieht er sich zudem den Zorn des Jiujitsu-Meisters Gennosuke (Ryunosuke Tsukigata) zu, der ebenfalls ein Auge auf sie geworfen hat. Schließlich fordert er Sanshiro zum Kampf.

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Sanshiro ist gewissermaßen der Urtyp des Helden, den Kurosawa in zahlreichen seiner folgenden Filme immer wieder auf die Leinwand schickt: Von Yukie in Kein Bedauern für meine Jugend bis zum jungen Arzt Yasumoto in Rotbart lässt er seine Helden immer wieder eine Entwicklung durchmachen, die sie auf den Weg der Selbsterkenntnis führen und sie verstehen lassen, dass ein erfülltes Leben nur über Hingabe und Aufopferung für ein höheres Gut zu erreichen ist.

Auch in anderer Hinsicht ist Sanshiro Sugata stilbildend für Kurosawas Werk. Zahlreiche für ihn typische Elemente finden sich bereits in seinem Erstling, darunter die auffallenden Schnitte per Wipe oder die Nutzung von Wetterphänomenen um die atmosphärische Wirkung einer Szene oder einer Entwicklung des Charakters oder der Handlung zu unterstreichen.

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Das herausragende Beispiel dafür ist die finale Begegnung Sanshiros und Gennosukes, ein Kampf, der an einem windumtosten Berghang ausgetragen wird. Die von Windböen gepeitschten Gräser, die am Himmel vorüber ziehenden Wolkenfetzen sorgen für eine dramatische Grundstimmung und lassen doch die Auseinandersetzung dieser kleinen, unscheinbaren Menschlein geradezu banal erscheinen.  Ein Bewusstsein für die eigene Bedeutungslosigkeit und Vergänglichkeit und die daraus resultierende Demut gehört zu den wichtigsten Lektionen die Sanshiro lernt – und mit deren Hilfe er Gennosuke besiegt.

Besonders begeistert hat mich an Sanshiro Sugata außerdem die Eröffnungssequenz. Darin sehen wir eine geschäftige Straße einer Stadt hinunter, die Kamera folgt der Straße, biegt dann in ein kleines Gässchen ab, in dem einige Kinder spielen und singen. Die Kamera fährt weiter auf die Kinder zu, doch unsere Erwartung, dass entweder eines der Kinder einen wichtigen Charakter darstellt oder ein solcher Charakter gleich ins Bild tritt, stellt Kurosawa auf den Kopf: Er wechselt nämlich die Perspektive um 180 Grad und wir sehen Sanshiro an Stelle der Kamera – wir haben die ganze Zeit durch seine Augen gesehen!

Sehr beeindruckend – gerade für das Debut eines jungen Regisseur – sind auch die Eleganz und Raffinesse, mit denen Kurosawa beispielsweise das Vergehen der Zeit symbolhaft darstellt. Ein Klassiker ist Sanshiros Holzsandale, die er bei der Begegnung mit seinem Meister Yano verliert und die in einer raschen Abfolge in den verschiedensten Situationen gezeigt wird, mal im Regen liegend, mal als Spielzeug eines Hundes oder im Fluß dahintreibend (schön in Screenshots dokumentiert bei Micha). So wird die Sandale zum Platzhalter für Sanshiro und dessen bewegte Erlebnisse in der Zwischenzeit.

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Sanshiro Sugata ist nicht nur ein erstaunliches Erstlingswerk, der Film war auch ein großer Erfolg und war für  Generationen von Martial-Arts-Filmen mit seiner Inszenierung des Meister-Schüler-Verhältnisses prägend. Leider stand es bisher um die Zugänglichkeit eher schlecht, woran sich jetzt mit der AK100-Box von Criterion (und der anstehenden Auskopplung seiner ersten Filme in einer Eclipse-Box) etwas ändert. Es wäre sehr wünschenswert, wenn dieser Klassiker dadurch mehr Fans des Genres zugänglich werden würde. Denn gesehen haben sollte man den Streifen unbedingt!

Den Auftakt zu meinen persönlichen AK100-Feierlichkeiten macht heute ein Schnelldurchlauf durch einige der wichtigsten Stationen seiner Regiekarriere in Form von Trailern, wobei ich versucht habe solche zu finden, in denen der „Tenno“ auch selbst auftaucht. Los geht’s natürlich mit dem Film, mit dem sein kometenhafter Aufstieg zu internationalem Ruhm begann: Rashomon.

[flash]http://www.youtube.com/watch?v=xCZ9TguVOIA[/flash]

10 Jahre später stand sein größter kommerzieller – und meistkopierter – Erfolgsfilm bevor: Yojimbo.

[flash]http://www.youtube.com/watch?v=BtieaYeqMbM[/flash]

1963 dann Kurosawas letzter und zugleich bester Ausflug ins Kriminalgenre: Zwischen Himmel und Hölle.

[flash]http://www.youtube.com/watch?v=xfCYzNoosfw[/flash]

Während zwei Jahren Vorbereitungs- und Drehzeit kam es schließlich zum Bruch mit Toshiro Mifune, seinem perfekten, kongenialen Partner vor der Kamera. Rotbart wurde ihre letzte gemeinsame Arbeit:

[flash]http://www.youtube.com/watch?v=TgNgXsKSzp0[/flash]

Nach der gescheiterten Beteiligung an dem Großprojekt „Tora! Tora! Tora!“ arbeitete Kurosawa doch noch im Ausland, allerdings hinter dem „Eisernen Vorhang“ in der Sowjetunion. In den Weiten Sibiriens entstand Dersu Uzala:

[flash]http://www.youtube.com/watch?v=ENaCqkJUVLI[/flash]

Fünf Jahre vergingen, bis Kurosawa die Finanzierung für ein Projekt sicher gestellt hatte, das mit Abstand der aufwändigste Hintergrund für eine Whiskey-Werbung aller Zeiten war: Kagemusha.

[flash]http://www.youtube.com/watch?v=OGYvLtNFUgQ[/flash]

Kyoko Kagawa

Die wohl letzte noch aktive Grande Dame der goldenen Ära des japanischen Films feiert heute ihren 77. Geburtstag, ein willkommener Anlass auf eine lange, interessante und lehrreiche Karriere zurückzublicken.

Kyoko Kagawa wurde 1931 in Tokyo geboren und begann ihre Schauspielkarriere 1950 bei Shintoho. Ihre erste wichtige Rolle hatte sie dann 1952 in Mikio Naruses Die Mutter als die lebensfrohe, der Kindheit entwachsende und mit den Härten des Erwachsenwerdens konfrontierte Tochter. In der Folge arbeitete sie mit allen großen Regisseuren zusammen und trat dabei oft in der Rolle der traditionellen Tochter (etwa in Tokyo Story oder Kenji Mizoguchis Sansho dayu) oder der von den üblichen Konventionen geleiteten Ehefrau auf.

Ein erster Ausreißer aus diesem Muster war ihre Rolle als junge, nach modernen westlichen Vorbildern lebende und damit ihren älteren Mann verschreckende Ehefrau in Shiro Toyodas 1956 entstandener Gesellschaftskomödie A Cat, Shozo and Two Women, in der sie eine kräftige Kostprobe ihrer Vielseitigkeit gab.

Diese konnte sie in der Folge vor allem in der Zusammenarbeit mit Akira Kurosawa demonstrieren. In seiner Gorki-Adaption Nachtasyl gab sie die mit sich selbst hadernde, von ihrer Schwester unterdrückte Bewohnerin eines Slums, in Zwischen Himmel und Hölle die Frau eines Millionärs und in Die Bösen schlafen gut die tragische Heldin, die in den Konflikt zwischen ihrem Vater und ihrem Ehemann gerät und letztlich nichtsahnend den Tod ihres geliebten Mannes verursacht. Nach einer kleinen Nebenrolle als männermordende, wahnsinnige Patientin in Rotbart setzte sie dann wie fast alle Schauspielerinnen ihrer Generation mit der Gründung ihrer Familie die Karriere aus.

Fast 30 Jahre vergingen, bis sie in den 90er Jahren wieder einige – zumeist kleine – Nebenrollen in Film und Fernsehen übernahm. Die zweifelsohne bemerkenswerteste dabei war wieder für Kurosawa, in seinem letzten Film Madadayo. In dem erst vor wenigen Wochen in die japanischen Kinos gekommenen Tonan kadobeya nikai no onna übernahm sie dann (IMDb zufolge) nochmals eine Hauptrolle, auf die hoffentlich noch weitere folgen werden. In diesem Sinne, alles Gute zum Geburtstag: おめでとうございます香川さん!

Wichtige Filme:

1950 – Wakasama samurai torimonochō: nazo no nōmen yashiki
1951 – Who knows a woman’s heart
1952 – Die Mutter
1953 – The Tower of Lilies
1953 – Tokyo Story
1954 – Sansho dayu
1954 – Eine Erzählung nach Chikamatsu
1956 – A Cat, Shozo and Two Women
1957 – Nachtasyl
1959 – The Birth of Japan
1960 – Die Bösen schlafen gut
1962 – Till tomorrow comes
1963 – Zwischen Himmel und Hölle
1965 – Rotbart
1970 – Onna kumicho
1993 – Madadayo
1996 – Shall we dansu?
1998 – Afterlife
2008 – Tonan kadobeya nikai no onna