Russland



Afanassij Fet Schenschin



Liebesgedichte Russland Flüstern, leises Atemholen

Flüstern, leises Atemholen,
Nachtigallenschlag,
Murmeln, Rauschen, wie verstohlen,
Von dem Wiesenbach.
Nächt'ger Schatten tiefes Dunkel
Über Feld und Au,
Holden Augenpaars Gefunkel,
Morgenfrischer Tau.
Fern am Himmel roter Rosen
Wunderbare Pracht,
Seufzer, Tränen unter Kosen -
Und der Tag erwacht!

Afanassij Fet Schenschin, 1820-1892
Übersetzer: Andreas Ascharin, 1843-1896



Alles schläft - komm in den Park hinaus!

Alles schläft - komm in den Park hinaus!
Alles schläft - aus ihrem Himmelshaus
Lugen nur die Sterne; doch ihr Licht
Findet uns im Laubesdunkel nicht.
Niemand hört uns; nur die Nachtigall . . .
Doch auch die nicht; ihrer Stimme Schall
Ist gar laut; sie singt so süß betört, -
Herz und Hand nur unser Flüstern hört.
Und es ahnt das Herz, wie viel die Nacht
Still verschwiegen Seligkeit gebracht.
Und die Hand zum Herzen bebend spricht:
Eine and're in mir glühend liegt.

Afanassij Fet Schenschin, 1820-1892
Übersetzer: Andreas Ascharin, 1843-1896



Alexei Tolstoi



Mädchen, forsche nicht, Mädchen frage nicht

Mädchen, forsche nicht, Mädchen frage nicht,
Nicht in dunkler Nacht und bei Tage nicht,
Wie mein Herz dich liebt, warum dich allein,
Ob es Sonnenglut, ob es Wetterschein!
Mädchen forsche nicht, Mädchen frage nicht,
Nicht mit Schmeichelwort und mit Klage nicht,
Ob du Schwester mir, ob geliebtes Weib,
Ob ein kleines Kind, Herzens Zeitvertreib!

Denn mit zagem Mut muss bekennen ich:
Weiß es selbst ja nicht, wie benennen dich.
Wieviel Blumen blüh'n wohl auf Flur und Feld,
Wieviel Sterne glühn hoch am Himmelszelt!
Doch wer wollte wohl alle kennen sie?
Doch wer wollte wohl alle kennen sie?
Als mein Herz dich fand, hab ich nicht gefragt,
Was die Welt dazu, die verständ'ge, sagt,
Auf die Augen tief sank der Wimpern Saum, -
Will erwachen nicht aus dem sel'gen Traum.

Alexei Tolstoi, 1817-1875
Übersetzer: Andreas Ascharin, 1843-1896



O Klang der Frühlingsglocken!

Es war im Lenz, der Wintertraum,
Der schwere, kaum zerronnen,
Es rührt sich der Saft im Baum
Und sprangen frische Bronnen.

Wohl rief noch nicht des Hornes Ton
In Wald und Feld die Herde,
Doch schmückte allerwegen schon
Ein zartes Grün die Erde.

Es war zur jungen Frühlingszeit
Im lichten Birkenhaine,
Da flehte ich: Du süße Maid,
Sprich nur das Wort, das eine!

Und du, du bargst an meiner Brust
Dein Antlitz, süß erschrocken.
O Liebestraum, o Jugendlust,
O Klang der Frühlingsglocken!

Alexei Tolstoi, 1817-1875
Übersetzer: Andreas Ascharin, 1843-1896



Semen Nadson



Bekenntnisse

Vergib mir, Geliebte, ich bin ja der Sohn
Des Geistes aus unsern Tagen.
Nie klang mir berauschend der Leidenschaft Ton,
Geläutert von Mißtrau'n und Zagen.

So wie der Chirurg nur dem Messer vertraut,
Vertrau' ich allein dem Gedanken.
Ich glaub nicht an Liebe, bevor ich geschaut
Dem Herzen entsprossene Ranken.

Wie schön bist du Holde! In schamhafter Glut
Vernimmst du mein banges Geständnis;
Du blickst mir in's Auge mit kindlichem Mut
Und stammelst dein süßes Bekenntnis.

Dich macht ja die Liebe so stolz und so stark;
O könntest, Teure, du wissen,
Wie heimliches Feuer mir zehrt am Mark,
Der Zweifel mit wütenden Bissen!

Es lacht mir das Eden ... Es hebt mich hinauf
Zum Frieden, zu seligem Glücke . . .
Da tu'n mir im Herzen die Gräber sich auf -
Und weinend sink ich zurücke.

Semen Nadson, 1862-1887
Übersetzer: Andreas Ascharin, 1843-1896



Auf dem Friedhof

Zum Friedhof geh' ich oft. Ich weiß ein Plätzchen dort,
Wo grüner sprosst das Gras, wo duft'ger blüht der Flieder,
Wo Bäume schatt'ger stehn am friedgeweihten Ort,
Wo heller, lieblicher ertönen Vogellieder.
Ich flüchte gerne mich in schwüler Mittagsglut
In dieser Kreuze Schutz, auf halbgesunknen Hügeln;
In's weiche Gras gestreckt, schau' ich in blauer Flut
Die weißen Wölkchen ziehn auf sanften Windesflügeln . . .
Der Kreuze eines fand ich umgestürzt im Gras:
Der Sturm in vor'ger Nacht sein wildes Spiel hier übte.
Die Inschrift halb verwischt, ich suchte sie und las:
"Ich harr' in Sehnsucht dein; o komme bald, Geliebter!" . . .
Und sinnend stand ich da. Des Ortes Genius
Berührte mich am Haupt; sein Fittig wehte Kummer.
Weß liebevolles Herz ruht hier im ew'gen Schlummer?
Wen ruft's zu sich herab? wem gilt der letzte Gruß?
"Ich harr' in Sehnsucht dein." Vernahm sie diese Worte,
Die noch der Grabesstaub mit trautem Namen nennt?
Weilt sie am Leben noch? durchmaß sie jene Pforte,
Die uns're lichte Welt vom dunklen Jenseits trennt?
Wie du verlassen ruhst - gar traurig anzuschauen!
Kein Blümchen schmückt, kein Kranz dein ungepflegtes Grab,
Kein Herzblut rinnt um dich und keine Tränen tauen
Aus fieberheißem Aug' auf deinen Staub herab.

Semen Nadson, 1862-1887
Übersetzer: Andreas Ascharin, 1843-1896



Apollon Nikolajewitsch Maikow



Naturklänge

russische Liebesgedichte Märzveilchen, kleines,
Das Köpfchen zur Höh',
Unter des Haines
Spätlagerndem Schnee.

Lindernde Tränen
Aus leidvoller Brust,
Knospendes Sehnen
Nach Liebe und Lust!

Apollon Nikolajewitsch Maikow, 1800-1875
Übersetzer: Andreas Ascharin, 1843-1896



Gestern Kälte, Sturm und Regen

Gestern Kälte, Sturm und Regen,
Heut' welch' warme, weiche Luft!
Glanz und Jubel allerwegen,
Vogelsang und Blumenduft!

Schläfst noch Liebling? wie die Lieder
Leise zucken . . . wart' nur, gleich!
Von dem blütenschweren Flieder
Pflück' ich einen vollen Zweig.

Und ich schüttle Taueströpfchen
In's Gesichtchen dir, ha, ha!
Dass erstaunt du hebst dein Köpfchen,
Auf, mein Kind, der Lenz ist da!

Apollon Nikolajewitsch Maikow, 1800-1875
Übersetzer: Andreas Ascharin, 1843-1896



Unter'm Regen

Weißt du noch: wir schritten fern auf Waldeswegen,
Sieh da überraschte uns ein heft'ger Regen.
Unter einer Tanne mächtigem Geäste
Sah'n wir uns geborgen, Vögeln gleich im Neste;
Ließen ruhig strömen, was vom Himmel wollte,
Während das Gewitter allgemach vergrollte . . .
Und es kam die Sonne froh mit Strahlengrüßen,
Gold'ger Schimmer färbte das Moos zu unsern Füßen;
Um uns her, wie Perlen, lichte Edelsteine,
Die ein reicher König streut aus gold'nem Schreine,
Fielen helle Tropfen, lustig springend, hüpfend,
Von den Nadeln gleitend,, durch die Zweige schlüpfend;
Auf dein Köpfchen tauten jetzt auch Tropfen nieder,
Glitten von den Schultern, rollten hinter's Mieder . . .
Weißt du noch, wie traulich dicht gedrängt wir standen,
Wie sich unsre Hände in einander fanden?
Dachten unsres Unfalls unter Lachen, Scherzen . . .
Nach und nach verstummten wir, und unsre Herzen
Stockten blad und pochten bald mit hastigen Schlägen . . .
Goldnes Ungewitter! Wundervoller Regen!

Apollon Nikolajewitsch Maikow, 1800-1875
Übersetzer: Andreas Ascharin, 1843-1896



Alles um mich her wie früher

Alles um mich her wie früher:
Wieder führt der Lenz den Reigen,
Blütenprangend Feld und Haide,
Süße Lieder in den Zweigen.

Warum zuckt mein Herz vor Wehmut,
Pocht in Gram und in Verlangen,
Sehnet sich nach neuen Freuden,
Weint nach dem, was längst vergangen?

Blüht ihm doch kein neuer Frühling
Und kein Hoffen und kein Lieben;
Nutzlos zehrt es an den Kräften,
Die dem alternden geblieben.

Alles um mich her wie früher,
Wieder führt der Lenz den Reigen:
Blütenprangend Feld und Haide,
Süße Lieder in den Zweigen.

Apollon Nikolajewitsch Maikow, 1800-1875
Übersetzer: Andreas Ascharin, 1843-1896



Nikolai Alexejewitsch Nekrassow



Der Dreispann

Was spähst du hinaus in die Weite,
So fern deiner Freundinnen Kreis?
Im Herzen pocht Sturmesgeläute,
Die Wangen erglühen dir heiß.

Und was läufst du mit eilenden Füßen
Nach dem Dreispann, du kommst doch zu spät?
Es blickte mit freundlichem Grüßen
Nach dir hin ja der schmucke Kornet.

Wer möchte dich, Mädchen, nicht sehen,
Wie blühende Jugend dir lacht?
Purpurrote Bänder durchwehen
Deine Locken, so schwarz wie die Nacht.

Aus den glühenden Rosen der Wangen
Keimt der Flaum wie am Pfirsich empor;
Von den seidigen Wimpern umfangen,
Lugt das schalkhafte Auge hervor.

Dein Blick wie mit Zaubergewalten
Macht hoch aufwallen das Blut;
Es zündet im Herzen des Alten,
Weckt im Jüngling der Leidenschaft Glut.

Du wirst wie im Reigen durchwallen,
Mit Rosen bekränzt, deine Bahn . . .
Doch dein Loos ist, ach, anders gefallen,
Ein bäurischer Tropf wird dein Mann.

Von der Schürze hoch auf unterbunden,
Wird dir welken die blühende Brust.
Nicht kann unter Schlägen gefunden
Deiner Jugend verkümmerte Lust.

Du wirst unter Sorgen und Mühen,
Ein Röschen, das kaum sich erschloss,
In dumpfer Entsagung verblühen,
Nur Kindergebären dein Loos.

Dein Antlitz voll geistigen Lebens,
Vom Frohsinn der Jugend umspielt,
Wird bald stumpfsinn'gen Ergebens
Und sinnloser Furchtsamkeit Bild.

Man wird einst zu Grabe dann tragen,
Wenn dein Fuß der Pilgerschaft müd',
Ein Herz, das vergebens geschlagen,
Einen Busen, der nutzlos geglüht. -

Was schaust du mit traurigem Blicke
Dem Dreispann, dem eilenden, nach?
Die sehnenden Seufzer ersticke
Und dämpfe des Herzens Schlag.

Du wirst nicht ereilen den Wagen,
Die Rosse sind mutig und stät,
Und zu einer Anderen tragen
Gar bald sie den jungen Kornet.

Nikolai Alexejewitsch Nekrassow, 1821-1877
Übersetzer: Andreas Ascharin, 1843-1896



Yakov Petrovich Polonski



Ein Quell ist mein Herz und mein Lied ist die Well'

Ein Quell ist mein Herz und mein Lied ist die Well';
Im Sturm, im sonnigen Glücke,
Da strahlet sie düster, und wieder dann hell
Das Bild des Himmels zurücke.

Und lächelt die Liebe im rosigen Glanz,
Und wölbte der Himmel sich trüber,
Dann rinnen die Tränen, im flüchtigen Tanz
Trägt murmelnde Well' sie vorüber.

Yakov Petrovich Polonski, 1819-1898
Übersetzer: Andreas Ascharin, 1843-1896